Es läutet und Susi potenziert den Lärm wie ein HiFi-Verstärker.
     Ich tapse in meine Hausschuhe, werfe mir schnell meinen Morgenmantel über und wanke zur Haustüre.
     Kaum ist sie offen, schießt mein Wuffi wie ein Pfitschipfeil zum Gartentor, während das Bellen zu einem erfreuten Jaulen mutiert.
     Nun, meine Miene ist wohl weniger enthusiastisch, als ich nach kräftigem Blinzeln Thomas erkenne.
     Schlaftrunken taumle ich vorwärts und fokussiere ein erheitertes Grinsen sowie unübersehbaren Tatendrang in der Körperhaltung.
     „Langschläferin, Frau Nachbarin?“, fragt er mich provozierend und lässt seinen Blick genüsslich von meinen nackten Zehen, über meine hochgerutschte Pyjama-Hose, das beim Busen aufspringende Oberteil und meine zerraufte Mähne gleiten.
     „Nein, überhaupt nicht. Ich schau immer so aus!“, kepple ich zurück und wische mir verstohlen über die verklebten Augenlider.
     Doch der Frechdachs lacht nur und sieht dabei zum Anbeißen aus. So ein maskulines Appetithäppchen in Jeans und engem Shirt gehört verboten! Welche Frau würde da nicht zu gerne zugreifen?
     Und ich stehe da wie das brave Hausmütterchen und nicht wie der zu einem Clinch bereite Vamp. Pech, dein Name ist Angelika!

(Leseprobe aus ‚Amor gegen Corona‘, ISBN 9783757851842, auch als E-Book erhältlich)

     Heute ist so ein herrlicher Tag, viel zu warm für Mitte März, für meine geplante Gartenarbeit jedoch nahezu ideal. Noch zwei Tage soll es laut Wetterprognose so bleiben. Da werde ich mit meinem Frühjahrsputz ziemlich weit gedeihen. Nur dass ich die Säcke nicht sofort auf der Gründeponie ausleeren kann, trübt das Erfolgserlebnis.
     Essen kochen? Fehlanzeige, ich will jede Minute draußen ausnutzen. Fast Food wird genügen müssen. Vielleicht mag Tom trotzdem wieder herüber kommen und uns Gesellschaft leisten. Es ist einfach nur schön, nicht bloß mit Susi zu reden oder Selbstgespräche zu führen.
     Mir war nicht bewusst, wie sehr mir die Zweisamkeit und der zwischenmenschliche Austausch fehlen.
     Diszipliniert folge ich meinem Tagesplan, summe vor mich hin, was ich äußerst selten mache, und schrecke zusammen.
     „Hey, Frau Nachbarin, könntest du Hilfe gebrauchen? Ich biete mich als Lehrling an!“
     Ein Schmunzeln erobert meine Lippen und meine Laune steigt noch um ein paar Grad.
     „Immer gerne, maskulinen Eifer soll man nie bremsen!“, erwidere ich und winke ihn zu mir.
     Augenblicke später steht er vor mir und ich versuche, ihn nicht zu sehr anzustarren. Scheitere damit vermutlich kläglich und würde mich jetzt nicht im Spiegel sehen wollen. Stielaugen und ein kaum beherrschbares Sabbern würden sich zeigen.
     Lässige 185 cm, gut trainiert, mit breiten Schultern und definierten Armen stehen mir zur Verfügung, leider nur im Garten.
     „Ich konnte nicht mehr drinnen sein, es hat mich vehement herausgezogen. Pfeif‘ auf die eintönige PC-Quälerei!“
     Krempelt seine Shirt-Ärmel hoch und wuchtet die von mir bereits gefüllten Säcke in meine Garage, den vorläufigen Abstellort dafür. Wo ich vor leichten Kreuzschmerzen geächzt hätte, steht er aufgewärmt vor der nächsten Bewegungseinheit.

(Leseprobe aus ‚Amor gegen Corona‘, ISBN 9783757851842, auch als E-Book erhältlich)

     Die Tränen sitzen in meinen Augen, wollen sich in die Tiefe stürzen. Ich will schluchzen, die Brust vor mir benässen und weinen, bis ich vor Erschöpfung in der beschützenden Umarmung einschlafen würde und alles vergessen könnte.
     Doch was bringt schon übersteigertes Selbstmitleid? Ich habe sowieso darin gebadet, als mich das Verhängnis des verlorenen, nein, geraubten Erbes ereilt hat. Wochen-, ja monatelang bin ich in der Vergangenheit versunken, habe gehadert, stumm gewütet. Habe in leeren Räumen geschrien und mich in bröckelnde Mauern gekrallt, verzweifelt ein paar Pflanzen ausgegraben und mitgenommen, in der irrwitzigen Annahme, etwas von früher heimbringen zu können. Ein Versuch, von vornherein zum Scheitern verurteilt.

(Leseprobe aus ‚Amor gegen Corona‘, ISBN 9783757851842, auch als E-Book erhältlich)

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