•  7. Dezember Adventkalendertürchen vom Autoren&Bloggerclub

 

     Suchend irrte sie durch die Reihen des Supermarktes. Verflixt, sie hatten wieder einmal alles umsortiert und schickten ihre Kunden auf eine Schnitzeljagd nach ihren alltäglichen Besorgungen.
     Mit Schwung schob sie den Einkaufswagen um die nächste Ecke und hätte beinahe einen Rentier-Schlitten aus bunt bemaltem Karton umgefahren. Gerade noch rechtzeitig bremste sie sich vor dem Turm aus Lebkuchen ein. Durch die Cellophan-Hüllen und Kartonagen strömte ihr der unverwechselbare Duft nach Gewürzen, Nüssen, Mandeln, Marzipan und Schokolade entgegen.
     Sie musste nicht auf ihr Smartphone blicken, um zu wissen, dass es erst Anfang September war. Seufzend schüttelte sie unmerklich den Kopf und registrierte aus dem Augenwinkel, dass ihr nur ein Regal weiter bereits glitzernde Glaskugeln entgegenblinkten. Und gleich daneben auf einem Haken, man glaubte es kaum, hingen Halloween-Kostüme für Hexen und Geister. „Und wo sind Krampus und Nikolo versteckt?“, hätte sie schon beinahe die nächste Regalbetreuerin gefragt und zügelte gerade noch rechtzeitig ihre vorlaute Zunge.
     Wenn sie jetzt noch in ihrer unmittelbaren Nähe rosa Glücksschweinchen, Rauchfangkehrer und Hufeisen im Mini-Format entdeckte, dann würde sie einen Schreikrampf kriegen. Na ja, vielleicht würde ihr Lärm noch den Osterhasen aufstöbern und sie könnte diesen sogar dann davonhoppeln sehen!   –   Wozu brauchte man Zeitreise-Romane? Heutzutage erfüllte jeder Super- oder Baumarkt locker und leicht die Kriterien. Mit Blitzgeschwindigkeit durch den Jahreslauf!

     Wenig später saß sie auf ihrer Couch, eine Tasse heißen Tee in der Hand, und blickte in den regnerischen Herbst-Abend.

      Sicher, sie würde, wie jedes Jahr, das Haus mit Reisig, Engeln, Glocken und Sternen schmücken. Ihr Mann liebte die Weihnachtsdekoration und das dann üppig anmutende Ambiente. Er brauchte ja auch die Kartons nicht aus den Keller-Kästen hervorholen, in die Wohnung schleppen, auspacken und sämtlichen Zierrat verteilen! Und ein paar Wochen später wieder alles retour.
      Sie war jetzt schon genervt und wusste nicht warum. Irgendwann war ihr der Zauber der Vorweihnachtszeit abhanden gekommen, der Sinn des Festes für sie verschwunden.

     Meine Güte, wie sehnsüchtig sie als Kind ihre Nase an die große Auslagenscheibe des zweistöckigen Kaufhauses gepresst hatte! Das Christkind als Riesenpuppe im glänzenden weißen Kleid mit Goldbordüren und Heiligenschein, daneben kleine flatternde Engel und blinkende Sterne, alles durch unsichtbare Mechanik vorsichtig bewegt. Wolken von Watte und kleinen Styropor-Kügelchen sollten den Schnee mimen und leicht windschiefe Tannen ergaben den Wald-Hintergrund. Dazwischen fuhr eine Dampflok mit einigen Waggons, auf denen Spielsachen drapiert waren. Teddybären, Puppen, Märchen- und Bilderbücher zogen solchermaßen an den Kinderaugen vorüber. Und rundherum waren noch Spieleschachteln mit DKT, Mensch ärgere dich nicht, Matador oder Märklin einladend dekoriert. Völlig hingerissen hatte sie angesichts dieser Zauberwelt gerufen: „Das alles mir gehört!“  –  Die Erwachsenen neben ihr hatten gelacht und die paar Kinder sie sowohl irritiert als auch indigniert gemustert.

      Oh Gott, wie lange war das her!

      Und heute? Heute bestellte man im Internet oder verfügte sich in eine der riesigen Shopping-Malls, wurde ab Mitte November von Christmas-Songs berieselt und konnte sich nach dem Einkaufs-Rausch dem richtigen ergeben, wenn man sich Punsch, Glühwein & Co einverleibte. Geröstete Kastanien, Langos, Pommes Frites, kleine Fleisch-Spieße, gebrannte Mandeln, Crèpes oder Waffeln, für jeden Geschmack war etwas auf den vielen Weihnachtsmärkten dabei.   –   Und vielleicht sogar der Tod inmitten des adventlichen Trubels, seit der Terror auch bei uns seine grässliche Fratze zeigte.

      Beim Aufräumen hatte sie in ihrem Elternhaus einen Karton mit Musik-Cassetten und Aufnahmebändern gefunden. Ein Technik-Freak hatte ihr das Ganze digitalisiert.

     Langsam stand sie auf, steckte den USB-Stick in die Stereo-Anlage und drückte auf PLAY. Zuerst hörte sie mehrere Personen ‚Alle Jahre wieder‘ und ‚Ihr Kinderlein kommet‘ singen. Dann ertönte die getragene Stimme ihres Vaters, der eine Geschichte von Karl Heinrich Waggerl vortrug, und zwar jene vom Floh im Ohr. Am Ende musste nicht nur das Christkind lächeln, sondern auch sie. Es folgten ‚O Tannenbaum‘ und ‚O du fröhliche, o du selige‘, wieder in einem Chor. Als ‚Maria durch ein Dornwald ging‘ erklang, konzentrierte sie sich ganz auf den Gesang ihrer Mutter.

     Ihre Hand zitterte, als sie die STOP-Taste betätigte, und Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. Vorbei, nie mehr, nur mehr Stille.

      Nur einmal noch fühlen dürfen wie ein Kind, einmal noch so geborgen sein und voller Erwartung, einmal noch grenzenlose Träume fliegen lassen! Ihr Herz schrie lautlos den Wunsch und ihre Seele ergab sich dem Verstand, der alles korrekt in Vergangenheit und Gegenwart einteilte.

     „Doch Zukunft“, flüsterte sie, „könntest du nicht Erbarmen zeigen und mir Wärme und Hoffnung schenken? Und wieder Liebe? All das, was Weihnachten symbolisiert?“

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