Zum Ende der Besatzungszeit verliebt sich Lucia, eine junge Wienerin, in den englischen Offizier Ryan, doch widrige Umstände trennen sie.
     Fast 60 Jahre später entdeckt Grazia, Lucias Tochter, ein Tagebuch, das ihre gewohnte Welt zusammenstürzen lässt.
     Die enthüllte Wahrheit treibt sie auf einen Weg, der nicht nur die Bruchstücke ihres bisherigen Daseins neu aneinander fügt, sondern ihrem Leben eine neue Richtung, ein neues Ziel weist.
     Wird die Gegenwart erlauben, was die Vergangenheit verweigert hat, nämlich Liebe und Glück?

Leseprobe aus dem Roman:

Grazia/Grace, 2015

Ach, Mama, warum hast du das getan? Wieso hast du mir all die Jahre die Wahrheit verschwiegen?
Ich stehe hier, auf dem Friedhof, sehe dem alten, weißhaarigen Pfarrer zu, wie er deinen Sarg segnet und höre ihn seine Gebete und Fürbitten herunterleiern, leise und kaum verständlich.
Es zu spät, jetzt, wo du irgendwo bist, vielleicht im Himmel, vielleicht noch auf der Reise über den Regenbogen oder vielleicht an jenem Ort, von dem du manchmal geträumt hast und der dir ein seliges Lächeln auf deine Lippen gezaubert hat. Ich habe dich gefragt, wo du in deinen Gedanken warst, aber du hast mich nur mit großen Augen angesehen.

Ich möchte dich schütteln, anschreien, sogar hassen. Und kann es doch nicht, weil du mir einfach den Boden unter meinen Füßen weggezogen hast, dabei bin ich mit dem Lesen erst bei der Hälfte. Was wird noch kommen? Welche Ungeheuerlichkeit werde ich zudem erfahren?

Neben mir steht Stefan, mein Fels in der Brandung, gibt mir heute Rückhalt und hat keine Ahnung, wohin meine Gedanken schweifen, was mich quält. Ziemlich sicher hält er mein befremdliches Verhalten für Trauer oder Belastung nach deiner schweren Krankheit.
Dass ich es kaum erwarten kann, nach Hause zu kommen, um in diesem einen Tagebuch weiterzulesen, sieht er mir hoffentlich nicht an. Er würde nur wieder nachfragen, was ich denn hätte und sagen, ich möge mir nicht alles so zu Herzen nehmen.
Wie denn nicht? Wenn dieses Herz derzeit wie wild schlägt, mich mit seinem unkontrollierten Pochen im Kopf martert und meine Seele schreit: Wer bin ich?
Ja, ich bin Grazia Steiner, geborene Sommer. Dachte ich bis vor kurzem. Doch eigentlich müsste ich Grazia O’Leary heißen, oder wohl eher Grace O’Leary und sollte perfekt Englisch bzw. Irisch/Gälisch sprechen und schreiben können.
Wenn du Ryan, deine große Liebe, geheiratet hättest oder er mich zumindest als sein uneheliches Kind anerkannt und ich seinen Namen angenommen hätte.

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