Helden? Ich bin kein Held, nicht einmal ein Freiwilliger oder Patriot, sondern nur ein sich der Pflicht Ergebender. Genauso wie James, mein bester Freund.
Ich hatte Glück, bis heute, und er nicht. Noch immer verfolgen mich manche Nacht die Bilder. Ich schrecke hoch, schweißgebadet und zitternd, will die Erinnerungen wegschieben, mit aller Gewalt, doch mein Kopf ist hartnäckig und quält mich. Warum er und nicht ich? Warum James?
Wir sind doch nebeneinander marschiert, nein, gekrochen, als die Bombe vor uns einschlug.
Erde und Gras sind auf uns herabgeregnet. Ein Stein hat mich getroffen, mir ein Loch im Bein beschert.
Der Schmerz, der durch mich hindurchfuhr, wurde von deinem Aufschrei verdrängt.
Ich sah dich, das Blut, deine aufgerissenen Augen. Etwas hat deinen Hals aufgeschnitten, du hast die Finger an die Wunde gepresst und mich angestarrt.
„Was ist passiert?“, hast du geflüstert und „Warum ich?“, während dein Lebenssaft unter deiner Hand hervorquoll.
Ich habe mich auf dich geworfen, wollte dir mit meinem Taschentuch krampfhaft einen Druckverband anlegen, doch das Rot wurde mehr und mehr, sickerte durch den Stoff, unsere Hände, auf den Boden, tränkte ihn, zu einem schnell größer werdenden Fleck.
Ich rief um Hilfe, ich weinte, ich schluchzte. Dein Gesicht unter all dem Dreck wurde immer bleicher und dein Blick verschwommener. Deine Lider zuckten, dein Körper zitterte. Einmal noch sahst du mir in die Augen, bis hinein in meine Seele und dein heiseres „Wofür?“ war das letzte Wort, das ich von dir in diesem Leben vernommen habe.
Und heute?
Keine Ahnung.
Vielleicht bin ich nicht normal? Oder der Krieg hat mich zu einem Gefühlskrüppel gemacht.
Es gibt Schlimmeres, wie James.
Und ich möchte auf der Stelle weinen. Doch ein Indianer kennt keinen Schmerz.
Warum nicht? Verdammt seid ihr, ihr Kinder-Sprüche!
Und ein Mann hat keine Tränen?
(Leseprobe aus „Twice Love, past and present“, ISBN 9783758307164, auch als E-Book erhältlich)
Ich starre aus dem Zugfenster, wo die Landschaft einmal schneller, einmal langsamer an mir vorbeifliegt.
Lehne mich zurück, sehe erstaunt an mir herunter, dass ich im Ganzen hier sitze und nicht bloß Teile von mir herumliegen.
Es müssten tausende sein, in die ich zerbrochen bin.
Lucy ist verheiratet. Ein anderer Mann als ich kann sie als seine Frau bezeichnen.
Es ist ein so grenzenloser Schmerz in mir, so eine Trostlosigkeit.
Mein Leben hat keinen Sinn mehr.
Der Gedanke an sie, ihr Bild, ihre Stimme und ihr Geruch in meinem Kopf, alles, was mich seit dem Abschied aus Wien aufrecht gehalten hat, ist zusammengebrochen.
Diese Grundfeste der Hoffnung für ein Leben zu zweit, gebaut aus liebevoller Erinnerung und beständiger Sehnsucht, ist umgestürzt und hat mich erschlagen.
Nein, nicht wirklich, ich weiß.
Ich atme, ich spreche, ich esse und trinke sogar, nur keine Ahnung, was oder wie viel. Mein Inneres ist taub und zugleich eine einzige brennende Wunde.
Der Zug befördert mich langsam über den Kontinent, hin zu meiner Fähre, die mich nach Dublin zurückbringen wird. Bewusst entscheide ich mich für dieses gemächliche Reisen, denn ich benötige Zeit.
Zeit, um mein zerstörtes Herz und meine zersprungene Seele notdürftig zu reparieren.
Zeit, um mühsam einen Weg über die Splitter meiner Träume zu suchen.
Zeit, um dem höhnischen Angriff des Schicksals die Stirn zu bieten.
Und im Takt der Räder auf den Schienen hämmert es in meinem Inneren: ‚Ich liebe dich, Lucy, ich werde dich nie vergessen‘, während meine eiskalten Finger zittrig über meine geschlossenen Augenlider wischen.
(Leseprobe aus „Twice Love, past and present“, ISBN 9783758307164, auch als E-Book erhältlich)
Der ‚Saint Fintan’s Cemetary‘ bietet einen wunderbaren Blick auf die Dublin Bay, vor allem aber jene Ruhe, die ich Grace verschaffen will.
Und die Kreuze des Friedhofs sind die Kulisse aus Erinnerung und Mahnung.
Ich ziehe das Kuvert aus meiner Innentasche und reiche es ihr.
Ihre Finger zittern, als sie danach fasst, die Briefbögen entnimmt und zu lesen beginnt.
An einen Baum schräg hinter ihr gelehnt, beobachte ich sie, wie ihre Augen über die Zeilen gleiten. Ihr Gesicht ist völlig offen, jede Regung, jede Emotion erkenne ich.
Ich weiß um den Inhalt und lese in Gedanken mit.
Das Schreiben sinkt auf ihren Schoß herab, ihr Blick richtet sich vom Blau der Irischen See hinauf in jenes des Himmels über uns. Sie wirkt so verloren, so klein und verlassen. Ihr ganzer Körper schreit nach Trost.
Und im nächsten Augenblick ziehe ich sie in meine Arme, bette ihren Kopf an meine Brust.
Ich weiß keine Worte für sie, finde keine, meine Sprache ist fürwahr unzureichend, für mich, den sonst so Eloquenten.
Ich lasse sie meine Wärme spüren, meinen Herzschlag hören und weine in Gedanken mit ihr mit. Möchte ihren Schmerz lindern und bin doch selbst voll davon. Unbeholfen streiche ich über ihren Rücken, atme ihren Duft ein und lege meine Schläfe an ihre; werde an Rosen und Sommerwiesen erinnert und küsse ihr Haar.
Was auch immer mich zu dieser zärtlichen Geste treibt, ich kann nicht anders.
Grace ist schließlich meine Stiefschwester, sie braucht mich, jetzt und vermutlich noch eine ganze Weile.
Dass da irgendwo eine Stimme ‚Du belügst dich‘ wispert, ignoriere ich.
Sie ist eine Fremde und doch so vertraut.
Dieses in Tränen schwimmende Grün kenne ich seit Jahrzehnten, es hat doch schon längst einen Platz in meinem Herzen und die Hülle außen drumherum ist unwichtig, bloß eine Laune der Natur.
(Leseprobe aus „Twice Love, past and present“, ISBN 9783758307164, auch als E-Book erhältlich)